Willi Kreikemeyer
Willi Kreikemeyer wurde am 11. Januar 1894 in Salbke als Sohn eines Schlossers und einer ehemaligen Landarbeiterin, Luise Kreikemeyer, geboren. Er besaß zwei Brüder und zwei Schwestern. Sein tatsächliches Sterbedatum ist unbekannt, nach Darstellung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) soll es der 31. August 1950 gewesen sein. Kreikemeyer war einer der Protagonisten der Fieldaffäre. Man rehabilitierte ihn auf dem 28. Plenum des ZK der SED im Jahre 1956.
Willi Kreikemeyer erlernte bei Krupp-Gruson in Magdeburg-Buckau zunächst den Beruf eines Drehers. Seit 1910 war er Mitglied der Gewerkschaft. Im ersten Weltkrieg war er auf einem Torpedoboot eingesetzt. Nach dem Krieg wurde er zunächst Mitglied der USPD und schloss sich im Jahre 1919 der KPD an. Weiterhin war er Mitglied im Freien Eisenbahnerverband. 1924 wurde er, während des KPD-Verbots, als politischer Sekretär der KPD in Nordbayern verhaftet und kam für sechs Monate ins Zuchthaus. Danach fungierte Kreikemeyer weiterhin in Mecklenburg, Niedersachsen und Danzig. Er stand durch seine Funktionärstätigkeit für die KPD in engen Kontakt zu Willi Münzenberg, für dessen Buch- und Zeitungsunternehmen er tätig war. Kreikemeyer, der 1933 in der Schweiz festgenommen und des Landes verwiesen wurde, organisierte bis 1935 den Vertrieb der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" (IAZ) im Saargebiet. Anschließend war er bis 1936 in Prag als Vertreter für Münzenbergs antinazistische Publikationen in Prag tätig.
Zwischenzeitlich (1935) lernte Willi Kreikemeyer in Paris die deutschsprachige, aus dem Elsaß stammende Französin Marthe Fels kennen, die er 1939 ehelichte.
Kreikemeyer, der ab Anfang 1937 im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte und in Madrid schwer verwundet wurde, wurde im folgenden Kaderchef der deutschen Abteilung der internationalen Brigaden in Spanien. Später beförderte man ihn zum Chefadjudanten für alle Kaderabteilungen der Interbrigaden. So kam es, dass er aufgrund seiner Funktionen 1937 erstmals den schicksalshaften Kontakt zu Erich Mielke bekam. Dieser war unter dem Decknamen Leistner bzw. Leissner damals Chef der Instruktionsabteilung und Adjutant der zentralen Administration.
1941/42, sich im französichen Exil befindend, erhielt Kreikemeyer geheime Kenntnisse darüber, dass Mielke, alias Leistner, alias Leissner, Zuwendungen aus dem Hilfswerk des US-Amerikaners Noel Fields erhielt, denn Kreikemeyer verteilte diese in Marseille an deutschen Emigranten. Weiterhin wollte Mielke sich heimlich in das sichere Mexiko absetzen. Kreikemeyer sollte aufgrund seiner amerikanischen Kontakte das notwendige Visum beschaffen. Der Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich vereitelte das Vorhaben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der verdiente Kommunist Kreikemeyer von der sowjetischen Besatzungsmacht zum Generaldirektor der Reichsbahn ernannt. Mielke schlug eine entsprechende Karriere bei der Staatssicherheit ein und wurde Staatssekretär.
1950 wurden alle, auch Kreikemeyer und Mielke von der Vergangenheit eingeholt:
Noel H. Field wurde als Agent des amerikanischen Geheimdienstes entlarvt. Alle, die zu Field Kontakt hatten, waren plötzlich verdächtig.
Kreikemeyer, der ja für das Fields Hilfswerk in Marseille gearbeitet hatte, geriet so in die Fänge der Staatssicherheit und wurde inhaftiert. Im Zuge der stattfindenden Ermittlungen fertigte Kreikemeyer in gutem Glauben eine Liste mit mehr als 200 Personen, welchen er seinerzeit in Frankreich half. Dabei kam heraus, was nur Kreikemeyer wusste:
Leistner ist Mielke! Diese Tatsache war so entlarvend für Mielke, denn Mielke war nämlich bis zur politischen Wende der DDR mit einer gefälschten Biografie unterwegs: Demnach war Mielke die ganzen Jahre über in russischem Exil und erst nach dem Kriege wieder nach Deutschland zurück gekehrt. Weiterhin konnte bekannt werden, dass Mielke zum einen selbst eine gewisse Nähe zu Field unterhielt und so Geld von einer amerikanischen Agentenzentrale erhielt und dass er darüber hinaus versucht hatte, sich aus dem Widerstand nach Mexiko abzusetzen. Für Mielke hätte dies das Ende seiner Karriere oder Schlimmeres bedeutet, für Kreikemeyer bedeutete es den sicheren Tod. Mielke versuchte nun, Kreikemeyer zum Schweigen zu bringen. Hierüber wurde, auch innerhalb des MfS, jahrelang eine strikte Nachrichtensperre gewahrt.
Willi Kreikemeyer, so die Darstellung des MfS, soll sich am 31. August 1950 in seiner Gefängniszelle selbst getötet haben. Angeblich soll er damals stark verschnupft gewesen sein. Daraufhin habe Kreikemeyer einen Wärter um die Herausgabe mehrerer zuvor sichergestellter Taschentücher gebeten. Drei Taschentücher soll er zusammengeknotet und sich hiermit an der Zellentür erhängt haben.
Die offizielle Darstellung des MfS wurde vom Historiker Wolfgang Kießling stark angezweifelt: Erst vier Jahre nach dem angeblichen Freitod Kreikemeyers wurde diese Version niedergeschrieben und erst 1957 bekannt gegeben. Auch der Totenschein wurde erst 1957, also sieben Jahre nach dem angeblichen Todeszeitpunkt, ohne Todesursache, ausgestellt. Es existiert keine Beleg darüber, dass Kreikemeyers Leiche jemals ärztlich untersucht wurde. Auch gibt es keinerlei Unterlagen über den Bestattungsort seiner Leiche. Was man lediglich fand, sind zwei Briefe Erich Mielkes an Walter Ulbricht, in denen die Behauptung aufgestellt wird, Kreikemeyer sei sowjetischen Behörden übergeben worden und dort 1955 in sowjetischer Haft verstorben. Nach einer Vermutung Wolfgang Kießlings liegt es auf der Hand, dass Mielke ihn ermorden ließ. Beweise hierfür gibt es natürlich nicht.
Kreikemeyer soll in der Untersuchungshaft Notizen angefertigt haben, welche seine tiefe Bestürzung über seinen Parteiausschluss dokumentieren, demnach kann natürlich auch eine Selbsttötung nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Das tatsächliche Schicksal Kreikemeyers wurde nie aufgeklärt.
Da Kreikemeyers Ehefrau Marthe immer wieder Briefe an die Behörden schrieb, in denen sie um Aufklärung über das Schicksal ihres Mannes bat, wurde als „feindlich zur DDR“ eingestuft. Somit richtete das MfS „Zersetzungsmaßnahmen“ gegen Marthe Kreikemeyer.
Marthe Kreikemeyer formulierte ihre Briefe stets so, dass diese sie als überzeugte Kommunistin auswiesen, die fest an einen Justizirrtum glaubte.
Sie weigerte sich allerdings, ihren französischen Pass abzugeben, solange ihre Eltern noch lebten. Dieses warf man ihr als "feindliche Tat" vor.
Mielke trieb sie schließlich aus dem Land: 1954 lud er sie zu einem Gespräch ein, in dem er vorgab, sich zu Kreikemeyers Schicksal äußern zu wollte. Tatsächlich aber konfrontierte er Marthe Kreikemeyer mit Anschuldigungen, auch sie sei in die Fieldaffäre verwickelt. Marthe Kreikemeyer floh daraufhin nach West-Berlin und dann weiter nach Frankreich.
Über den Umweg der Kommunistischen Partei Frankreichs schickte sie weiter Briefe nach Ost-Berlin, welche allerdings unbeantwortet blieben. Die Historikerin Wilfriede Otto zitiert folgenden makaberen Protokollvermerk der Kommission zur Überprüfung von Parteiangelegenheiten:
„Die Kommission beschloß, den Brief von Frau Kreikemeyer zur Kenntnis zu nehmen und den staatlichen Organen zu empfehlen, der Frau Kreikemeyer keine Antwort zukommen zu lassen, da sie selbst Ausländerin ist und im Ausland lebt.“
Im Jahre 1957 bekam Frau Kreikemeyer nun endlich Bescheid:
Die oben erwähnte Darstellung des MfS vom Selbstmord Willi Kreikemeyers. Bis zum Tode 1986 suchte Marthe Kontakt zu den DDR-Behörden. Das einzige Ergebnis war, dass Willi Kreikemeyers Ausschluss aus der Partei schließlich rückgängig gemacht wurde.